Mogê pomóc?

(Kann ich Helfen?)

Erfahrungsbericht einer 20-jährigen europäischen Freiwilligen in den Masuren

Von Franziska Schneider

 

Als auf dem Bahnsteig die Türen des Zuges nach Polen meine Eltern und mich mit drei dicken Taschen am 17. September 2005 trennten, fühlte ich mich wie ein verlassenes, abgestoßenes Vögelchen, das von einer auf die andere Sekunde fliegen können muss. Es war mein eigener Wille nach dreizehn Jahren Schule und Abitur endlich die Welt kennen zu lernen und meine eigenen Erfahrungen zu sammeln. Lehrbücher hatte ich genug gewälzt und zugehört habe ich auch lange genug. Es wurde Zeit für mich, endlich meinen Lebensdurst an der Welt zu stillen.

 

Ich interessierte mich bereits seit langem für die Prozesse in den osteuropäischen Ländern, insbesondere für mein Nachbarland Polen. Dieses Interesse deckt sich auch mit meinem Wunsch, an der Europauniversität Viadrina Frankfurt (Oder) zu studieren.

Das Finden einer richtigen Entsendeorganisation für den Europäischen Freiwilligendienst (EVS) hat einige Zeit in Anspruch genommen und die vielen organisatorischen Sachen haben nur durch hartnäckiges Nachhaken geklappt. Doch letztendlich hat alles funktioniert. Die Vorbereitungsseminare haben über Rechte und Pflichten, Versicherungen und Schutz aufgeklärt, sowie sich aber größtenteils mit der psychischen Vorbereitung befasst.

Und dann ging alles sehr schnell. Der Zug brachte mich in ein Leben, das bis heute wie ein Schnelldurchlauf an mir vorbeigerauscht ist. Wir waren zwölf neue Freiwillige aus aller Herren Länder gewesen, die Mitte September das stille Örtchen Sorkwity bei unserer Aufnahmeorganisation Camp Rodowo in den Masuren erreichten. Nach einem zweiwöchigen Sprachkurs wurde es ernst.

Wir Masurschen Freiwilligen werden auf kleine Städtchen verteilt, die im Winter von besonders hoher Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind. Ich hatte mich für Miko³ajki entschieden. Dieser Touristenanziehungspunkt im Sommer gleicht im Winter einem zurückgezogenen Dörfchen.

Die richtige Wahl

Wie wird sich meine Arbeit gestalten? Wie werde ich aufgenommen? In was für eine Gastfamilie werde ich kommen? Werde ich mich jemals in einem anderen Land einleben oder werde ich als eine deutsche Touristin abgestempelt? Mittlerweile haben sich diese ersten Ängste und Überlegungen in einem ausgefüllten, organisierten Leben in Miko³ajki geklärt. Ich wurde überall mit einem freundlichen Lächeln aufgenommen und man bemüht sich so gut es geht, mich zu unterstützen. Es wird sich, wenn es nicht anders geht, mit Händen und Füßen unterhalten. Das Interesse, das die Menschen an mir und meinem Leben bekunden, zeigt mir, dass ich nicht als eine deutsche Touristin aufgenommen werde. Die Achtung, die mir entgegengebracht wird, weil ich fast ein Jahr aus meinem Heimatland in ein anderes Land gehe, gibt mir genug Kraft, meine eigene Sehnsucht nach der Familie zu lindern.

Ich bin sehr glücklich mit meinen Projekten und meinen Aufgaben in dieser kleinen Stadt. Besonders hervorzuheben an dem EVS in Miko³ajki ist, dass ich viele Möglichkeiten habe, in verschiedenen Einrichtungen tätig zu werden. Die Projekte setzten keine unüberwindbaren Grenzen. Ich arbeite zwei Mal die Woche in einer Fünfjährigen Kindergartengruppe und in einer Tagesbeschäftigungsstätte für behinderte Menschen. Dort kann ich meiner Kreativität freien Lauf lassen und lerne, mich mit der polnischen Sprache mehr und mehr zu verständigen. Eine Arbeit, die mir oft zeigt, wie schön  und gleichzeitig auch hart das Leben sein kann. Wenn ich nachmittags geschafft vom Kindergeschrei in mein Zimmer komme, bewundere ich den Job einer Kindergärtnerin, die sich jeden Tag darum bemüht, die Kinder auf das Leben vorzubereiten. Die Erfahrung, dass meine Hilfe gern angenommen wird und einfacher menschlicher Kontakt einen so mit Glück erfüllen kann, habe ich in den 13 Jahren Schule nie gemacht.

Den Grossteil meiner restlichen Arbeitszeit befinde ich mich im "Marion Dönhoff Lyzeum". Gräfin Marion Dönhoff war Chefredakteurin und Herausgeberin der Wochenzeitung "Die Zeit". Sie hatte sich als Antifaschistin besonders für die Verständigung Deutschlands mit den Völkern Osteuropas eingesetzt. Hierin sehe ich meine Aufgabe auch als eine Vermittlung der Kenntnisse von Geschichte und Gegenwart beider Völker. Das Wissen übereinander steht an erster Stelle und ich versuche als Deutsche, Vorurteile und Misstrauen gegenüber Deutschland aufzuklären und bestenfalls abzubauen. Mir werden alle Türen offen gehalten, damit ich einen realistischen Eindruck von meinem Nachbarland Polen bekomme. Durch die sehr gute sprachliche Ausbildung in Deutsch und Englisch, hat sich die Schule einen Namen gemacht. Ich gebe unter anderem auch den Schülern die Möglichkeit einer Deutschkonversation. Leider sind durch den vorrangigen Erwerb von Sprachkenntnissen, jegliche künstlerisch, kreativen Fächer verbannt worden. Aber da die Schüler enormes Interesse und Talent aufweisen, haben wir Europäischen Freiwilligen mit zwei Lehrern der Schule eine Musikgruppe und eine Theatergruppe gegründet.

Ich versuche auch mein Interesse an der gemeinsamen Geschichte unserer beiden Völker und das Miteinander auf der Basis der gegenseitigen Akzeptanz und Kooperation in einem historischen Projekt zum Ausdruck zu bringen. Zusammen mit einem Europäischen Freiwilligen aus Frankreich habe ich mich mit dem sehr vernachlässigten jüdischen Friedhof in Miko³ajki beschäftigt. Wir haben einige interessierte Bürger von Miko³ajki zur Mitarbeit gewonnen und mit der Unterstützung des Marion-Dönhoff-Lyzeums ein Projekt der Restauration und geschichtlichen Aufarbeitung organisiert.

Nicht nur Spielen und Beschäftigung

Die jüdische Stiftung "Fundacji Ochrony Dziedzictwa Zydowskiego" bietet ein Projekt speziell für Schulen an, in dem darauf Wert gelegt wird, diese wichtigen Erinnerungen an die und Mahnung aus der Geschichte mit Jugendlichen aufzuarbeiten und sie in die Pflege des Geländes einzubeziehen. Wir versuchen das Interesse der BürgerInnen von Miko³ajki auf das historische Erbe zu lenken und hoffen, dass das Projekt nicht nur formelle, sondern lebendige Form annimmt. In den lokalen Medien haben wir unser Projekt bereits vorgestellt.

Aktuelle Diskussionen und die politischen Entwicklungen in Polen versuche ich zu beobachten, sowie Probleme und Umgangsweisen der Menschen zu verstehen. Ich möchte den Menschen in Miko³ajki zeigen, dass es nicht nur Touristengruppen gibt, die das wunderschön gelegene Städtchen im Sommer bevölkern und zum Leben erwecken, sondern auch lernbegeisterte Ausländer. Es lässt sich schwer in einem Satz zusammenfassen, wie viel ich bisher erfahren habe. Vor allem die polnischen Mentalitäten, Kulturen und Lebensverhältnisse werden mir in einer sonst schwer möglichen Ansicht gezeigt. Das gemeinsame Wohnen mit einer polnischen Gastfamilie, die vielen Gespräche mit Lehrern, aber auch einfach einer Verkäuferin, eröffnen mir einen lebendigen Blick in polnische Verhältnisse. Ich erfahre und lerne auf direktem Weg und kann durch eigene Initiative die Mentalitäten und Traditionen miterleben. Für neun Monate in einem anderen Land zu leben, heißt, einen direkten Blick in die Landes- und Kommunalpolitik, die Familienverhältnisse, den Lebensstandard und die Traditionen zu erhalten.

Rücksichtnahme und gegenseitige Verständigung

Ich sehe meine Aufgabe darin, den europäischen Gedanken nach Polen zu tragen und dazu beizutragen, dass er verfestigt und weiterentwickelt wird. Durch meine Arbeit führe ich Nationen zueinander und kann einen weltoffeneren und globalen Blick auf die Welt fördern. Die geschlossene Gemeinschaft, die gegenseitige Hilfe und Rücksichtsnahme, die Freuden über Kleinigkeiten im Leben zeigen mir Tag für Tag, dass Liebe und Frieden gegenüber allen Menschen das Leben enorm erleichtern können. Vielleicht liegt es hier auch an den sehr eisigen Temperaturen, dass man sich mehr Herzenswärme entgegenbringt. Doch selbst diese Kälte draußen, entzündet in mir ein Feuer. Ein Feuer der Lust zu Helfen und dafür einfach nur ein breites, aber noch ungeschminktes Kinderlächeln entgegen zu nehmen.

Ein Lächeln für die Welt

Heute sehe ich, dass sich die Zugtüren am Beginn meiner Reise nicht geschlossen, sondern mir die Richtung in mein zukünftiges Leben gezeigt haben. Trotz aller Sehnsüchte, Missverständnisse und Schwierigkeiten, habe ich in diesen fünf Monaten so viel gelernt, gesehen und selber ausprobiert, dass ich einen Europäischen Freiwilligendienst nur jedem ans Herz legen kann. Die Chancen, sich selbst zu verwirklichen und zu erfahren wie das Leben in anderen Ländern ist, ohne das Gefühl alleine dazustehen, ist eine Bereicherung für das ganze Leben. Doch nicht nur das, auch die Freiheit, sein Leben selbst zu gestalten und die Zeit zu nutzen, über sich und seine Zukunft nachzudenken, ist gerade in der schwierigen Zeit heute ein großes Privileg. Die Herzenswärme, die Freundlichkeit und die vielen lächelnden Kindergesichter kann mir keiner aus meinen Erinnerungen nehmen und ich bin mir sicher, dass ich hier Hilfe und Freunde für mein Leben gefunden habe.