Mogê pomóc?
(Kann ich Helfen?)
Erfahrungsbericht
einer 20-jährigen europäischen Freiwilligen in den Masuren
Von
Als auf dem Bahnsteig die Türen des Zuges nach Polen meine Eltern und
mich mit drei dicken Taschen am 17. September 2005 trennten, fühlte ich mich
wie ein verlassenes, abgestoßenes Vögelchen, das von einer auf die andere
Sekunde fliegen können muss. Es war mein eigener Wille nach dreizehn Jahren
Schule und Abitur endlich die Welt kennen zu lernen und meine eigenen
Erfahrungen zu sammeln. Lehrbücher hatte ich genug gewälzt und zugehört habe
ich auch lange genug. Es wurde Zeit für mich, endlich meinen Lebensdurst an der
Welt zu stillen.
Ich interessierte mich bereits
seit langem für die Prozesse in den osteuropäischen Ländern, insbesondere für
mein Nachbarland Polen. Dieses Interesse deckt sich auch mit meinem Wunsch, an
der Europauniversität Viadrina Frankfurt (Oder) zu
studieren.
Das Finden einer richtigen
Entsendeorganisation für den Europäischen
Freiwilligendienst (EVS) hat einige Zeit in Anspruch genommen und die vielen
organisatorischen Sachen haben nur durch hartnäckiges Nachhaken geklappt. Doch
letztendlich hat alles funktioniert. Die Vorbereitungsseminare haben über
Rechte und Pflichten, Versicherungen und Schutz aufgeklärt, sowie sich aber
größtenteils mit der psychischen Vorbereitung befasst.
Und dann ging alles sehr schnell.
Der Zug brachte mich in ein Leben, das bis heute wie ein Schnelldurchlauf an
mir vorbeigerauscht ist. Wir waren zwölf neue Freiwillige aus aller Herren
Länder gewesen, die Mitte September das stille Örtchen Sorkwity
bei unserer Aufnahmeorganisation Camp Rodowo in den
Masuren erreichten. Nach einem zweiwöchigen Sprachkurs wurde es ernst.
Wir Masurschen Freiwilligen
werden auf kleine Städtchen verteilt, die im Winter von besonders hoher
Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind. Ich hatte mich für Miko³ajki entschieden. Dieser Touristenanziehungspunkt im Sommer
gleicht im Winter einem zurückgezogenen Dörfchen.
Die richtige Wahl
Wie wird sich meine Arbeit
gestalten? Wie werde ich aufgenommen? In was für eine Gastfamilie werde ich
kommen? Werde ich mich jemals in einem anderen Land einleben oder werde ich als
eine deutsche Touristin abgestempelt? Mittlerweile haben sich diese ersten
Ängste und Überlegungen in einem ausgefüllten, organisierten Leben in
Miko³ajki geklärt. Ich wurde überall mit einem freundlichen Lächeln
aufgenommen und man bemüht sich so gut es geht, mich zu unterstützen. Es wird
sich, wenn es nicht anders geht, mit Händen und Füßen unterhalten. Das
Interesse, das die Menschen an mir und meinem Leben bekunden, zeigt mir, dass
ich nicht als eine deutsche Touristin aufgenommen werde. Die Achtung, die mir
entgegengebracht wird, weil ich fast ein Jahr aus meinem Heimatland in ein
anderes Land gehe, gibt mir genug Kraft, meine eigene Sehnsucht nach der
Familie zu lindern.
Ich bin sehr glücklich mit meinen
Projekten und meinen Aufgaben in dieser kleinen Stadt. Besonders hervorzuheben
an dem EVS in Miko³ajki ist, dass
ich viele Möglichkeiten habe, in verschiedenen Einrichtungen tätig zu werden.
Die Projekte setzten keine unüberwindbaren Grenzen. Ich arbeite zwei Mal die
Woche in einer Fünfjährigen Kindergartengruppe und in einer
Tagesbeschäftigungsstätte für behinderte Menschen. Dort kann ich meiner
Kreativität freien Lauf lassen und lerne, mich mit der polnischen Sprache mehr
und mehr zu verständigen. Eine Arbeit, die mir oft zeigt, wie schön und gleichzeitig auch hart das Leben sein
kann. Wenn ich nachmittags geschafft vom Kindergeschrei in mein Zimmer komme,
bewundere ich den Job einer Kindergärtnerin, die sich jeden Tag darum bemüht,
die Kinder auf das Leben vorzubereiten. Die Erfahrung, dass meine Hilfe gern
angenommen wird und einfacher menschlicher Kontakt einen so mit Glück erfüllen
kann, habe ich in den 13 Jahren Schule nie gemacht.
Den Grossteil meiner restlichen
Arbeitszeit befinde ich mich im "Marion Dönhoff Lyzeum". Gräfin
Marion Dönhoff war Chefredakteurin und Herausgeberin der Wochenzeitung
"Die Zeit". Sie hatte sich als Antifaschistin besonders für die
Verständigung Deutschlands mit den Völkern Osteuropas eingesetzt. Hierin sehe
ich meine Aufgabe auch als eine Vermittlung der Kenntnisse von Geschichte und
Gegenwart beider Völker. Das Wissen übereinander steht an erster Stelle und ich
versuche als Deutsche, Vorurteile und Misstrauen gegenüber Deutschland
aufzuklären und bestenfalls abzubauen. Mir werden alle Türen offen gehalten,
damit ich einen realistischen Eindruck von meinem Nachbarland Polen bekomme.
Durch die sehr gute sprachliche Ausbildung in Deutsch und Englisch, hat sich
die Schule einen Namen gemacht. Ich gebe unter anderem auch den Schülern die
Möglichkeit einer Deutschkonversation. Leider sind durch den vorrangigen Erwerb
von Sprachkenntnissen, jegliche künstlerisch, kreativen Fächer verbannt worden.
Aber da die Schüler enormes Interesse und Talent aufweisen, haben wir
Europäischen Freiwilligen mit zwei Lehrern der Schule eine Musikgruppe und eine
Theatergruppe gegründet.
Ich versuche auch mein Interesse
an der gemeinsamen Geschichte unserer beiden Völker und das Miteinander auf der
Basis der gegenseitigen Akzeptanz und Kooperation in einem historischen Projekt
zum Ausdruck zu bringen. Zusammen mit einem Europäischen Freiwilligen aus
Frankreich habe ich mich mit dem sehr vernachlässigten jüdischen Friedhof in Miko³ajki beschäftigt. Wir haben einige interessierte
Bürger von Miko³ajki zur Mitarbeit gewonnen und mit
der Unterstützung des Marion-Dönhoff-Lyzeums ein Projekt der Restauration und
geschichtlichen Aufarbeitung organisiert.
Nicht nur Spielen und Beschäftigung
Die jüdische Stiftung "Fundacji Ochrony Dziedzictwa Zydowskiego"
bietet ein Projekt speziell für Schulen an, in dem darauf Wert gelegt wird,
diese wichtigen Erinnerungen an die und Mahnung aus der Geschichte mit
Jugendlichen aufzuarbeiten und sie in die Pflege des Geländes einzubeziehen.
Wir versuchen das Interesse der BürgerInnen von Miko³ajki auf das historische Erbe zu lenken und hoffen,
dass das Projekt nicht nur formelle, sondern lebendige Form annimmt. In den
lokalen Medien haben wir unser Projekt bereits vorgestellt.
Aktuelle Diskussionen und die
politischen Entwicklungen in Polen versuche ich zu beobachten, sowie Probleme
und Umgangsweisen der Menschen zu verstehen. Ich möchte den Menschen in Miko³ajki zeigen, dass es nicht nur Touristengruppen gibt,
die das wunderschön gelegene Städtchen im Sommer bevölkern und zum Leben
erwecken, sondern auch lernbegeisterte Ausländer. Es
lässt sich schwer in einem Satz zusammenfassen, wie viel ich bisher erfahren
habe. Vor allem die polnischen Mentalitäten, Kulturen und Lebensverhältnisse
werden mir in einer sonst schwer möglichen Ansicht gezeigt. Das gemeinsame
Wohnen mit einer polnischen Gastfamilie, die vielen Gespräche mit Lehrern, aber
auch einfach einer Verkäuferin, eröffnen mir einen lebendigen Blick in
polnische Verhältnisse. Ich erfahre und lerne auf direktem Weg und kann durch
eigene Initiative die Mentalitäten und Traditionen miterleben. Für neun Monate
in einem anderen Land zu leben, heißt, einen direkten Blick in die Landes- und
Kommunalpolitik, die Familienverhältnisse, den Lebensstandard und die
Traditionen zu erhalten.
Rücksichtnahme und gegenseitige Verständigung
Ich sehe meine Aufgabe darin, den
europäischen Gedanken nach Polen zu tragen und dazu beizutragen, dass er
verfestigt und weiterentwickelt wird. Durch meine Arbeit führe ich Nationen
zueinander und kann einen weltoffeneren und globalen Blick auf die Welt
fördern. Die geschlossene Gemeinschaft, die gegenseitige Hilfe und
Rücksichtsnahme, die Freuden über Kleinigkeiten im Leben zeigen mir Tag für
Tag, dass Liebe und Frieden gegenüber allen Menschen das Leben enorm erleichtern
können. Vielleicht liegt es hier auch an den sehr eisigen Temperaturen, dass
man sich mehr Herzenswärme entgegenbringt. Doch selbst diese Kälte draußen,
entzündet in mir ein Feuer. Ein Feuer der Lust zu Helfen und dafür einfach nur
ein breites, aber noch ungeschminktes Kinderlächeln entgegen zu nehmen.
Ein Lächeln für die Welt
Heute sehe ich, dass sich die Zugtüren am Beginn meiner Reise nicht geschlossen, sondern mir die Richtung in mein zukünftiges Leben gezeigt haben. Trotz aller Sehnsüchte, Missverständnisse und Schwierigkeiten, habe ich in diesen fünf Monaten so viel gelernt, gesehen und selber ausprobiert, dass ich einen Europäischen Freiwilligendienst nur jedem ans Herz legen kann. Die Chancen, sich selbst zu verwirklichen und zu erfahren wie das Leben in anderen Ländern ist, ohne das Gefühl alleine dazustehen, ist eine Bereicherung für das ganze Leben. Doch nicht nur das, auch die Freiheit, sein Leben selbst zu gestalten und die Zeit zu nutzen, über sich und seine Zukunft nachzudenken, ist gerade in der schwierigen Zeit heute ein großes Privileg. Die Herzenswärme, die Freundlichkeit und die vielen lächelnden Kindergesichter kann mir keiner aus meinen Erinnerungen nehmen und ich bin mir sicher, dass ich hier Hilfe und Freunde für mein Leben gefunden habe.