Koalitionsvertrag
zwischen CDU, CSU und SPD spricht von „Unrecht der Vertreibung“
Streit um
Vertreibungszentrum geht weiter
Von Renate Hennecke
Das „Zentrum gegen Vertreibungen“, für dessen Errichtung der Bund der
Vertriebenen (BdV) den politischen Segen der Bundesregierung und großzügige
finanzielle Unterstützungen aus Steuermitteln fordert, habe „nichts mit einer
Relativierung der Geschichte zu tun“, erklärte Angela Merkel bei ihrem
Antrittsbesuch in Polen am 2. Dezember 2005. Sie hat das schon früher behauptet
- aber wer soll das glauben?
Die Bundeskanzlerin hat die
Durchsetzung des Zentrums entgegen polnischer (und tschechischer) Proteste zur
Chefsache gemacht. Wenige Tage vor ihrer Wahl erklärte sie auf einer
Versammlung der „Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung“ (OMV) der Unionsparteien
in Berlin: „Wenn ich zur Bundeskanzlerin gewählt werden sollte, dann werde ich
mich auch ganz persönlich dieser Aufgabe verpflichtet fühlen.“ (ARD-Tagesschau,
18.11.2005)
Ihr Vertrauen in dieser
Angelegenheit hat allerdings nicht der neue Außenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD), der das Zentrum in der Version des BdV ablehnt. In Warschau
durfte er schweigend daneben stehen, während seine Chefin mit dem polnischen
Ministerpräsidenten Kazimierz Marcinkiewicz Gespräche
zur Fortsetzung des „Dialogs“ über dieses Thema vereinbarte: zwischen dem
deutschen „Kulturstaatsminister“ Bernd Neumann (CDU) - über ihn wird berichtet,
dass er 1977 als CDU-Fraktionsvorsitzender in Bremen ein Gedicht von Erich
Fried lieber verbrannt als in einer Schule behandelt wissen wollte - und dem
polnischen Kulturminister Kazimierz Ujazdowski.
Schwarz-rote Koalition will an
das „Unrecht der Vertreibung“ erinnern
Schon bei den
Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD war das Thema
Vertreibungszentrum der Arbeitsgruppe Außenpolitik entzogen und der
Arbeitsgruppe Kultur zugeschoben worden, die von
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) geleitet
wurde. Dort einigte man sich auf eine Formulierung, die alles möglich macht:
„Die Koalition bekennt sich zur gesellschaftlichen wie historischen
Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung“, heißt es im
schwarz-roten Koalitionsvertrag. „Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in
Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, um - in Verbindung mit dem „Europäischen
Netzwerk Erinnerung und Solidarität“ über die bisher beteiligten Länder Polen,
Ungarn und Slowakei hinaus - an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und
Vertreibung für immer zu ächten.“
Damit ist nun ausdrücklich
formuliert, wie sehr sich das BdV-Vertreibungszentrum und das von der
rot-grünen Koalition ins Leben gerufene „Europäische Netzwerk Erinnerung und
Solidarität“ (dem bislang neben Deutschland und Polen nur die Slowakische
Republik und Ungarn angehören) in ihren Grundaussagen ähneln: Beide sollen die
Auffassung verbreiten und durchsetzen, die zum Schutz der Nachbarländer vor
erneuter Destabilisierung durch eine expansive deutsche Volkstumspolitik
erfolgte Umsiedlung der Deutschen 1945/46 sei Unrecht gewesen. Nicht ohne Grund
jubelte die BdV-Präsidentin Erika Steinbach schon am 16. Mai 2002, als im
Bundestag der rot-grüne Antrag „Für ein europäisch ausgerichtetes Zentrum gegen
Vertreibungen“ (die Grundlage für das spätere „Netzwerk“ verabschiedet und ihr
eigener Antrag „Zentrum gegen Vertreibungen“ abgelehnt wurde: „Heute ist ein
guter Tag.“ Und Norbert Lammert, damals Mitinitiator
des CDU/CSU-Antrags und heute Befürworter einer neuen Leitkulturdebatte, freute
sich: „So viel Übereinstimmung gab es selten.“
Von SPD-Politikern wie z.B.
Markus Meckel, Bundestagsabgeordneter und
Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe und Vorkämpfer für ein
„europäisches Zentrum gegen Vertreibungen“, wurde der oben zitierte Abschnitt
des Koalitionsvertrages als Absage an das BdV-Projekt interpretiert. Schon bald
sahen sich die sozialdemokratischen Koalitionäre allerdings genötigt, vor
„missverständlichen Äußerungen“ und einer „Uminterpretation
des Koalitionsvertrages“ zu warnen. Was soll aber missverständlich gewesen
sein, wenn Angela Merkel bei der oben genanten OMV-Versammlung
ganz offen erklärte: „Wir wollen im Geiste der Versöhnung mit einem Zentrum
gegen Vertreibungen in Berlin ein Zeichen setzen“?
Markus Meckel
will mittlerweile das „sichtbare Zeichen“ in Berlin setzen, indem die
Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration“, die am Tage von Angela
Merkels Polen-Besuch im Haus der Geschichte der BRD in Bonn eröffnet wurde und
im nächsten Jahr in Berlin und Leipzig gezeigt werden soll, fest in der
Hauptstadt installiert wird. An der Vorbereitung dieser Ausstellung sollen
„renommierte Wissenschaftler aus Polen und Tschechien ebenso wie der Bund der
Vertriebenen“ beteiligt gewesen sein. Dem Katalog der Ausstellung ist zu
entnehmen, dass sich diese in den Konsens „Unrecht der Vertreibung“ nahtlos
einordnet. Alles andere wäre auch erstaunlich, denn Prof. Dr. Hermann Schäfer,
bislang Präsident der Stiftung „Haus der Geschichte der BRD“ und verantwortlich
für die Gestaltung der dortigen Ausstellung, ist gleichzeitig Mitglied des
Wissenschaftlichen Beirats der BdV-Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“. Am
1. Februar 2006 wurde er zudem Leiter der Abteilung Kultur und Medien bei
Minister Neumann (siehe oben), eine Berufung, die in der Sudetendeutschen
Zeitung nachdrücklich begrüßt wurde.
Für die oberste „Vertriebene“
Erika Steinbach, die als Tochter eines Besatzungssoldaten im damaligen
„Westpreußen“ geboren wurde, war dagegen rasch klar, was die Formulierung im
Koalitionsvertrag bedeutete. Nach dem Wahltag hatte sie zunächst befürchten
müssen, dass die CDU/CSU um Abstriche an ihrem Wahlprogramm in puncto Vertreibungszentrum nicht herumkommen werde. Dort
hatte es geheißen: „Wir wollen im Geiste der Versöhnung mit einem Zentrum gegen
Vertreibungen in Berlin ein Zeichen setzen, um an das Unrecht von Vertreibung
zu erinnern und gleichzeitig Vertreibung für immer zu ächten.“ Die - fast
gleich lautende - Formulierung in der Koalitionsvereinbarung verstand sie
sofort als „ein klares Bekenntnis für unser Projekt“ und lobte sie als „ein
Meisterstück der Psychologie“. Als Merkel in ihrer Regierungserklärung am 1.
Dezember 2005 die Formulierung wiederholte, erklärte Steinbach gegenüber der
WELT: „Das war eine wunderbare Beschreibung von Frau Merkel, mit der ich gut
leben kann.“
Im ARD-Morgenmagazin forderte
Steinbach polnische Historiker und Historikerinnen auf, an ihrem
Vertreibungszentrum mitzuarbeiten. Seit langem bemüht sie sich, dem Projekt
eine „europäische“ Fassade zu geben. Das hindert sie allerdings nicht daran,
hin und wieder klarzustellen, wie das gemeint ist. Als der designierte polnische
Präsident Lech Kaczyñski in einem Interview in
der BILD-Zeitung vom 23. Oktober 2005 erklärte, „es
wäre für die Beziehung unserer Länder das Beste, wenn das Vertriebenenzentrum
niemals gebaut würde“, putzte ihn Steinbach rüde herunter. Kaczyñski
sei nicht in Deutschland zum Präsidenten gewählt worden, erklärte sie. Und sie
mische sich ja auch nicht in polnische Angelegenheiten ein, bei der Frage des
Zentrums handele es sich um eine „innerdeutsche Angelegenheit“ und „diese
überzogenen nationalistischen Töne“ würden den Polen in der EU „auch nicht
helfen“.
Wie die Dauerausstellung im
Zentrum aussehen soll
Während über das
Vertreibungszentrum gestritten wird, wird seltsamerweise über die konkreten
Vorstellungen des BdV zu seiner inhaltlichen Gestaltung kaum ein Wort verloren.
Dabei hat die „Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen“ schon vor Jahren an alle
Bundestagsabgeordneten ein Exposé für die Ständige Ausstellung verschickt, die
- neben einer „Gedenkrotunde“ - das Kernstück des Zentrums bilden soll. Dieses
Exposé ist auch im Internet (www.z-g-v.de) abrufbar.
Die vier Hauptkapitel (Teil I)
befassen sich ausschließlich mit dem „Schicksalsweg der deutschen
Heimatvertriebenen“. Das erste Kapitel ist überschrieben „Heimatland“ und
umfasst die Abschnitte „Heimat in Deutschland“ und „Heimat außerhalb von
Deutschland“. Vorgestellt werden „Städte wie Breslau, Danzig oder Königsberg
ebenso wie die Weite der masurischen Landschaft, die
Idylle des Riesengebirges und die soziale Ordnung der Gutswirtschaft“.
Erzählt werden soll „vom alltäglichen Leben in Ostpreußen, Pommern,
Ostbrandenburg und Schlesien: von Hochzeit und Geburt, vom ersten Schultag, von
Königsberger Klopsen und Thorner Kathrinchen,
dem kulturellen Leben der Städte, dem Leben im schlesischen Industrierevier“.
Idylle der „alten Heimat“, in der alle glücklich waren und jeder seinen angestammten Platz hatte, vom ostelbischen
Junker bis zum polnischen Pferdeknecht. Oder - im zweiten Teil - vom
„Nebeneinander und Miteinander der Volksgruppen in den von Deutschen bewohnten
Gebieten außerhalb der deutschen Staatsgrenzen von 1937“. Auch hier soll „das
alltägliche Leben in den Beziehungen zwischen der deutschen Minderheit und der
herrschenden Mehrheitsgesellschaft der Ausgangspunkt der Darstellung“ sein.
Geherrscht wird offenbar nur außerhalb der deutschen Grenzen: da herrschen die
slawischen Landarbeiter über die deutsch-baltischen Barone (während deutsche
Gutshöfe eine soziale Ordnung aufweisen), da bedrohen tschechische Chauvinisten
redliche großdeutsche Patrioten ... Dazu soll man - passenderweise
- „erzählte Märchen und Geschichten“ aus der jeweiligen Region im
Originaldialekt hören.
Emotionale Überwältigung statt
Aufarbeitung
der Zusammenhänge
Das zweite Hauptkapitel heißt
„Vogelfrei und rechtlos“. Dieser Teil soll so gestaltet werden, dass kritisches
Nachdenken über die historischen Zusammenhänge gar nicht erst aufkommt, sondern
der Besucher sich emotional vollständig mit den deutschen Opfern identifizieren
muss. „Die Gestaltung dieses Ausstellungsteils empfindet das Entwurzeltsein und den Verlust der Menschenwürde nach. Der
Besucher läuft neben einer lebensgroßen Projektion von Flüchtlings- und
Vertreibungstrecks entlang. Sein Weg ist gesäumt von Gepäckstücken, die von den
Flüchtlingen zurückgelassen wurden. An mehreren Stellen hat er die Möglichkeit,
in einen Raum hinter der Leinwand zu treten und dort anhand von Fotos,
Dokumenten und Objekten die näheren Umstände von Flucht und Vertreibung in sich
aufzunehmen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Weges wird in eigenen Räumen
das Ausmaß der Grausamkeit dargestellt, dem die Menschen in den Lagern, bei der
Vertreibung und an ihren Heimatorten ausgesetzt waren. Auf einer Abzweigung
wird das Schicksal und die Lage der Russlanddeutschen plastisch dargestellt.“
Schließlich folgen die beiden
Kapitel „Zuflucht“ und „Neue Wurzeln“ über die Ankunft in „West- und
Mitteldeutschland“, die erlittene Not und die Gefahr der Assimilierung bzw.
über die Zeit nach dem Krieg, einschließlich Lager Friedland und „Charta der
Heimatvertriebenen“. Da die Beschreibung dieser beiden Kapitel in der Vorlage
der Stiftung zusammen weniger Platz einnimmt als das zweite Kapitel allein,
sollen sie auch hier nur erwähnt werden.
Auch auf Teil II des Exposés -
Überschrift: „Vertreibungen europäischer Völker im 20. Jahrhundert" -
haben die Planer der Ausstellung nicht viel Mühe verwendet. Fünfeinhalb Jahre
nach der ersten Veröffentlichung des Exposés besteht dieser Teil noch immer im
Wesentlichen aus einer wahllos zusammengewürfelten
Tabelle mit verschiedensten historischen Ereignissen und der lapidaren
Ankündigung: „Anhand der folgenden tabellarischen Übersicht wird mit modernen
musealen Mitteln die Geschichte der europäischen Völkervertreibungen
dargestellt. Das Konzept für diesen Teil der Dauerausstellung ist in
Bearbeitung.“
Das Böse ist immer und überall
Bleiben noch Einleitung und
Schluss. Der „Prolog“ beginnt mit der Frage: „Warum Vertreibungen?“ Wer
erwartet, Konkretes über die Umstände, die zu Grunde liegenden Konflikte, die
Ziele, kurz die Vorgeschichte und Zusammenhänge konkreter Vertreibungen zu
erfahren, sieht sich getäuscht. In dem Konzept der Stiftung „Zentrum gegen
Vertreibungen“ für ihre Dauerausstellung wird ein Grund gleichermaßen für alle
Vertreibungen seit 1848 verantwortlich gemacht.
Anfang des 19. Jahrhunderts,
heißt es da, sei der Nationalismus entstanden und der habe in der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts dazu geführt, dass sich bei Politikern und Bevölkerung
mehr und mehr die Auffassung verfestigte, Frieden sei nur in einem ethnisch
homogenen Nationalstaat möglich. „Von dieser Überzeugung zur Vertreibung war es
nur ein kleiner Schritt. In gemischt besiedelten Gebieten und bei kriegerischen
Grenzverschiebungen wurden Vertreibungen nun als das geeignete Mittel
angesehen, ein zukünftig friedliches Zusammenleben zu gewährleisten.“ Dazu
seien eine „Radikalisierung der Ideologien“ und die „gewachsenen technischen
Möglichkeiten“ gekommen. Das Ende vom Lied: „Allein 20 Millionen Deutsche
wurden zwischen 1918 und 1950 entwurzelt“ - angeblich nur deshalb, weil sie die
falsche Nationalität besaßen.
Haben also Hitler, die deutsche
Wehrmacht, die SS, SA und Einsatzgruppen nur zu radikal den Frieden geliebt,
als sie Europa unterwarfen, um „Lebensraum“ für die deutsche Nation zu
schaffen? War es übermäßige Friedensliebe, die zum Holocaust führte und die
Feder beim Niederschreiben der monströsen Germanisierungspläne der Nazis
führte?
War es umgekehrt ganz abwegig,
wenn Polen, Tschechen, Ungarn und Jugoslawen glaubten, ohne die Einmischung der
„Herrenrasse“ und ihre Volkstumspolitik würden sie friedlicher leben können?
Im „Zentrum gegen Vertreibungen“
soll man die Ursachen von Vertreibungen verstehen, indem man auf einer
Europakarte am Fußboden - ohne Grenzen! - spazieren geht und dabei „Zitate aus
der Entstehungszeit des Nationalismus über den Zusammenhang von Nationalität,
Rasse und Sprache in jeweils der Sprache des Landes (hört), auf dem der
Besucher gerade steht“.
Das Ziel ist durchschaubar:
Nationalismus gab und gibt es überall, soll der Besucher schließen, eine
Seuche, die ganz Europa gleichermaßen befallen hatte. Wer hat da das Recht, den
Deutschen etwas vorzuwerfen?
Das „Jahrhundert der
Vertreibungen“
Nach der Absolution kommt der
Aufbau der Opferrolle. In dem großen Raum, dessen Fußboden die begehbare
Europakarte bildet, soll ein kleinerer Raum eingebaut werden. Darin befinden
sich zwei Kartentische und eine große Europakarte an der Wand. Auf der ersten
Karte sind „Vertreibungen bis 1933“, auf der zweiten „Vertreibungen 1933 -
1945“ und auf der dritten „Vertreibungen 1944 - 1950“ zu sehen. Da es sich um
eine moderne Ausstellung handelt, soll auch alles interaktiv sein. Auf
Knopfdruck kann man auf den Karten "die unterschiedlichen
Bevölkerungsbewegungen, sortiert nach Volksgruppen" sehen. Auch fordert
„die Größe und Anordnung der Karten die Besucher heraus, sie gemeinsam zu
betrachten und sich darüber zu verständigen, was als nächstes zu sehen sein
soll“
Was aber gibt es zu sehen?
Auf der ersten Karte
(„Vertreibungen bis 1933“) sieht man z.B. gewaltsame Bevölkerungsverschiebungen
auf der Grundlage von Verträgen zwischen Bulgarien, Griechenland und der Türkei
1913, den Völkermord an den Armeniern 1914/15, „Millionen Menschen, die durch
den Russischen Bürgerkrieg (1918 - 1921) entwurzelt und in die Emigration
getrieben wurden“ (Bürgerkrieg? Waren die Angehörigen der 18
Interventionsarmeen alle russische Bürger?), die
Zwangsumsiedlung von Griechen und Türken nach dem Vertrag von Lausanne 1923.
Und: „Die mittelbaren
Vertreibungen Deutscher aus der II. Polnischen Republik als Folge der neuen
Grenzen nach 1918 waren bereits Vorboten der Massenvertreibungen ab 1945.“
Damit wird angedeutet, dass die Umsiedlung 1945/46 nicht Folge der NS-Verbrechen,
sondern schon lange vorher geplant gewesen sei.
In der Beschreibung der zweiten
Karte heißt es: „Nicht nur als Mittel, sondern als Ziel der Politik verstand
das nationalsozialistische Deutschland die Vertreibung nicht-deutscher und die
Ermordung ‚nicht-arischer' Bevölkerung.“ Genannt
werden:
- die Entrechtung, Deportation
und Vernichtung der europäischen Juden durch „das nationalsozialistische
Deutschland“
- die Vertreibung von 450.000
Polen und Polinnen aus „Westpreußen“ und dem „Wartheland“ in das besetzte
"Generalgouvernement"
- die Ermordung von Sinti und
Roma
- die Umsiedlung der
Volksdeutschen unter dem Motto „Heim ins Reich“.
Aus der Tschechoslowakei wurde
demnach niemand vertrieben (das entspricht der Darstellung der Sudetendeutschen
Landsmannschaft). Und auf sowjetischem Gebiet hat offenbar nur Stalin sich
Vertreibungen zuschulden kommen lassen: 900.000 Wolgadeutsche waren seine
Opfer, und „1944 (wurden) die kleinen islamischen Völker asiatischer Herkunft
im Nordkaukasus und die Krimtataren von Stalin aus ihren Siedlungsgebieten
deportiert“. Hat denn die Wehrmacht überhaupt niemanden vertrieben, als sie
1941 über die Sowjetunion herfiel und eine Spur von Vernichtung und verbrannter
Erde hinter sich her zog?
Der Inhalt der dritten Karte
(1944 - 1950) lässt sich sehr kurz zusammenfassen: „Mehr als 15 Millionen
Deutsche waren am Ende Opfer“ der territorialen Neuordnung Europas durch die
Alliierten.
Die Darstellung der Deutschen als
Opfer der „größten ethnischen Säuberung der Menschheitsgeschichte“, wie es
Vertriebenenpolitiker an anderer Stelle gern formulieren, ist der eine Inhalt
dieser Inszenierung, die Nivellierung aller Unterschiede der zweite. Der
Holocaust wird zu einer Episode unter vielen. Und die Umsiedlung der Deutschen
hat keine andere Vorgeschichte als alle anderen Vertreibungen. Mit der
Vorgeschichte braucht man sich ohnehin nicht auseinanderzusetzen, denn das
Motto der deutschen Opferdebatte lautet: „Vertreibungen sind immer Unrecht,
egal was vorher geschah.“
Dass es sich bei dem Zentrum um
ein durch und durch deutschnationales Projekt handelt, zeigt schließlich auch
der - in dem Exposé sehr kurz gehaltene - Epilog am Schluss. Noch einmal wird
alles unter dem Etikett eines anonymen "Jahrhunderts der Vertreibung"
in einen Topf zusammengerührt. Dann folgt die Rechtfertigung der ganzen
Angelegenheit als Veranstaltung zur Förderung der Menschenrechte, speziell des
"Rechtes auf die Heimat", das die Vertriebenenverbände seit
Jahrzehnten zur Begründung ihrer Ansprüche an die von ihnen so genannten
„Vertreiberstaaten“ heranziehen. In der Ausstellung wollen sie dazu
Video-Aufnahmen von „aktuellen Vertreibungen“ missbrauchen.
"Es wäre das Beste ...
wenn das Vertriebenenzentrum
niemals gebaut würde.“ Das gilt nicht nur für die Beziehungen zu unseren
Nachbarländern, sondern auch für das politische Klima in Deutschland selbst.
Der kritische Blick auf die geplante Ausführung der Dauerausstellung als
Kernstück des Zentrums zeigt, dass hier sehr wohl Geschichte umgeschrieben
werden soll, allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz.
Dies ist die
aktualisierte Fassung eines Artikels, der zuerst in den Deutsch-Tschechischen
Nachrichten Nr. 69 vom 18. November 2005 erschien (www.deutsch-tschechische-nachrichten.de;
renate.hennecke@netsurf.de).