Tagung in Bad Boll über "Deutsche und Polen 60 Jahre nach Kriegsende"

Dialog über Generationen hinweg

Von Hans Kumpf

 

Polen ist mittlerweile Vollmitglied der EU -  aber weiterhin bestehen etliche Ressentiments. "60 Jahre nach Kriegsende ist es an der Zeit, dass Deutsche und Polen offen über die immer noch belastende Geschichte, über Vergangenes und Verdrängtes sprechen", erkannten die zwei Tagungsleiter Beate Sorg-Pleitner von der Evangelischen Akademie und Landtagsvizepräsident Frieder Birzele, der auch als Vorsitzender des Landesverbands Baden-Württemberg der Deutsch-Polnischen Gesellschaft fungiert. Anfang Juni 2005 gab es an drei Tagen aufschlussreiche und nachdenkenswerte Referate und intensive Diskussionen - über Völker- und Generationsgrenzen hinweg. Überaus plastisch zeigte zu Beginn des Symposiums der bekannte TV-Journalist Cornelius Bormann Verbindendes und Trennendes zwischen den beiden Nachbarländern im Laufe der Jahrhunderte auf. Der vormalige "Tagesthemen"-Moderator und einstige Warschau-Korrespondent hat in dem Buch "Der Adler mit der Frau im Herzen" seine Erfahrungen und Analysen zusammengefasst.

 

Als geschundene Zeitzeuginnen berichteten subjektiv, aber auch mit nüchternem Blick nach vorn die Historikerin Marianne Meyer-Krahmer, Tochter des hingerichteten Widerstandkämpfers Carl Goerdeler, und Halina Bortnowska-D¹browska, Mitglied des polnischen Helsinki-Komitees für Menschenrechte. Kontrovers wurde in der Tagungsrunde freilich argumentiert, ob eine zentrale Gedenkstätte für die Vertriebenen unterschiedlicher Nationen sinnvoll sei oder nur zu internen Streitigkeiten führen würde.

Die "ZEIT"-Mitarbeiterin Dr. Helga Hirsch erforscht derzeit immer noch die Schicksale und Grausamkeiten, die bei den diversen Vertreibungen im Laufe des Zweiten Weltkriegs geschehen sind. Viel zu leicht vergesse man, dass es nach dem 1. September 1939 die Deutschen waren, die systematisch Vertreibungen inszenierten. Jede deutsche Familie sei sowohl mit Leid als auch mit Schuld behaftet, resümierte sie. Heutzutage würde nicht deutlich genug herausgestellt werden, wie besonders die einzelnen Polen unter der Nazi-Herrschaft gelitten hätten. Politische Verträge wären gut, fügte der polnische Germanist und Historiker Professor Karol Sauerland an, aber menschlich sei noch viel aufzuarbeiten.

Dass die gegenseitigen Beziehungen vielfach verkrampft und von übertriebener Vorsichtigkeit geprägt sind, empfand Agnieszka Prusinowska, die als Stipendiatin der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart weilt. Sie mahnte mehr Natürlichkeit an und war bereits zur respektablen Kultur-Tat geschritten: Mit dem von ihr organisierten "Polnischen Mai" hatte sie in der Landeshauptstadt bei zwölf Veranstaltungen rund 1500 Menschen erreicht. Neben der Bosch-Stiftung machte vor allem die "Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit" den Kulturmarathon finanziell möglich. Speziell bei Film, Fotografie, Grafik und Musik braucht Polen schließlich keinerlei Minderwertigkeitskomplexe zu haben. In Bad Boll führte Agnieszka Prusinowska dann Pfadfinder aus Deutschland und Polen zusammen und bewies erneut die Wichtigkeit von interaktiver Kommunikation.

Ein unverkrampftes Miteinander der Tagungsteilnehmer gab es an den beiden Abenden. In einer vergnüglich-besinnlichen Stunde lasen zwei Literaten aus ihren Büchern: Tina Stroheker, bereits mit dem "Polnischen Journal" erfolgreich, stellte nun ihr neuestes Werk "Pommes-Frites in Gleiwitz - eine poetische Topographie Polens" vor. Nicht weniger augenzwinkernd ging mit bilateral-divergierenden Eigentümlichkeiten der Pole Krzysztof Wojciechowski um. Er ist Autor des Bandes "Meine lieben Deutschen".