Polnisch-deutscher Chansonabend mit Aldona Watolla

Zwischen Schmerz und Frohsinn

Von Angelika Calmez

 

"Ihr habt nichts verpasst," poltert die zierliche junge Frau im roten Kleid ins Mikrofon. Drei verspätete Gäste, im Begriff, sich durch den engen Raum an der Sängerin, der Geigerin und dem Pianisten vorbei zum Publikum zu schleichen, sind leicht irritiert. Kichern bei denen, die von Anfang an dabei waren. "Es ist nicht schlimm, dass ihr zu spät seid. Denn es hätte noch schlimmer kommen können", fährt Aldona Watolla, nun schon sanfter, fort, und damit ist klar: Es handelt sich um die Überleitung zum nächsten Chanson. Mit kraftvoller Stimme, in ihrer Muttersprache Polnisch, singt sie davon, dass man die Hoffnung nie aufgeben darf. Später scheint der mädchenhaft wirkenden Sängerin, die stets dicht am Publikum bleibt, aber nie darin verschwindet, die Stimme fast zu brechen, als sie, auf polnisch,  singt: "Entschuldige, dass ich lebe. Entschuldige, dass ich trinke, aber mir fehlt es an Glück."

 

Die von Aldona Watolla interpretierten Lieder vermögen den seidenen Faden zwischen Schmerz und Frohsinn schier zum Reißen zu spannen. Aber am Ende hat er doch immer gehalten.

Charakteristisch für das polnische Lied könne ein "zigeunerhafter" Hauch sein, und die idealtypische Besetzung sei die Geige, die "soviel Demut und auch Wehmut in die Musik bringt", meint die Künstlerin. Und dennoch: Ihr erstes Soloprogramm "Traum vom Leben", "Sen o ¿yciu", lebt nicht etwa nur von Aldona Watollas sprühendem Vortrag. Der Erfolg rührt auch von den musikalischen Akzenten. Mal tragen Violine und Piano den Gesang. Mal setzen sie zwischen Gedichtzeilen leise Töne - die aufhorchen lassen. Das Trio ergänzt sich so gut, dass man gar nicht glauben mag, dass Aldona Watolla, die Violinistin Natalie von Zadow und der Pianist Piotr Kêdzierski sich erst zur Probe zum ersten Mal zusammen fanden. 

Für Piotr Kêdzierski, der aus Warschau kommt und als DAAD-Stipendiat in Köln Klavier und Kammermusik studiert, bedeutet die Kleinkunst eine Abwechslung zur klassischen Musik. Die spielt er bei seinen Konzerten oft genug, zum Beispiel, wenn er im Kölner Dom bei einer Trauerfeier für Karol Wojti³a als Organist auftritt. Dagegen beruhe die Arbeit mit Aldona Watolla auf Ideenaustausch. "Sie hat viele neue Ideen für mich, und ich helfe ihr musikalisch", berichtet der junge Mann.  Noten gibt es da keine. "Ich habe den Text, ich kenne die Akkorde. Es ist viel einfacher, sich nach dem Gehör zu richten", beschreibt er die Besonderheiten des Begleitens. Diese kreative Art der Zusammenarbeit schätzt auch Natalie von Zadow: "Bei diesem Projekt kann ich endlich meine eigene Kreativität einbringen. Man ist immer mit 'seinem Bach' und 'seinem Mozart' beschäftigt und vergisst darüber den kreativen Gedanken dahinter, warum man als Kind überhaupt angefangen hat", schildert die ehemalige Konzertmeisterin des Orchesters der Schulmusikstudierenden an der Kölner Musikhochschule ihre persönliche Freude an dem Kleinkunst-Projekt. Aber, die Violinistin unterstützt Aldona Watolla auch moralisch sehr. "Indem sie mir einfach immer wieder sagt, dass es gar nicht super perfekt sein muss, sondern dass es einfach eine Begegnung mit mir selbst ist", freut sich die Sängerin. 

Ihre Chansons stammen aus dem Repertoire einer einzigen Sängerin, die Aldona Watolla ganz besonders fasziniert: Edyta Geppert. "Sie hat eine wahnsinnige Dramatik in der Stimme", schwärmt sie. Und zum Thema Chanson fügt sie hinzu: "Ich kann auch deutsche Texte singen. Aber diese Musik", und sie spricht von den Chansons aus ihrem Heimatland, "weckt etwas, das ganz ganz tief in mir steckt. Das verdeckt ist, weil ich das Leben hier lebe und nicht da drüben bin." So oft die durch ihre Migrationsgeschichte geprägte Sängerin kann, besucht sie ihre Großmutter in der oberschlesischen Stadt Zabrze. "Wenn ich hier bin, vermisse ich die Art, wie sie dort leben, wie sie Probleme bewältigen, wie sie dort miteinander lachen", seufzt sie. "Wenn ich aber drüben bin, vermisse ich natürlich hier meine Freunde."

Ein Dilemma, für das Aldona Watolla nun, in Form des Soloprogramms, eine künstlerische Lösung gefunden hat. Seit vergangenen Herbst tourt sie damit durch Kölner Kneipen und Cafés und lässt die "polnische Seele", wie sie sie empfindet, aufleben: "Ich erzähle etwas Dramatisches. Und versuche das sofort wieder zu kippen, indem ich eine lustige Geschichte vorlese, die das aufhebt. Ich versuche zu zeigen, dass das Leben ein Auf und Ab ist. Dass es mit sehr viel Humor zu tun hat. Aber auch mit sehr viel Dramatik und Überlebenskunst."  Vor jedem Chanson erklärt sie erst den Text, Lyrik und Prosa trägt sie ebenfalls in deutscher Übersetzung vor.

So entsteht eine erfrischende Soirée polnischer Klassiker: Mit den Worten der Dichterin Wis³awa Szymborska kitzelt Aldona Watolla ihr Publikum mit ironischer Empörung darüber, dass man im Westen so wenig über den Nachbar weiß: Die polnischen Dichter, zitiert sie spitzfindig,  besingen "das einfache Leben der Seehundhirten". Mit der Lyrik von Adam Mickiewicz, Polens berühmtestem Dichter, spürt sie verwischten Empfindungen nach: "Ist das nun Freundschaft oder ist das Liebe?" Schwerverdauliches spickt sie mit bissigen Gesellschaftssatiren von S³awomir Mro¿ek. Satiren, zum Beispiel auf eine Gesellschaft im real existierenden Sozialismus. Wo ein Zoodirektor statt ein echtes Tier einen Elefanten zum Aufblasen anschafft, um für seine patriotische Sparsamkeit eine Prämie  zu kassieren.

Ein "besonderer polnischer Humor", findet Aldona Watolla, der geprägt sei vom nicht vorhandenen Wohlstand im Polen der 70er und 80er Jahre - den Jahren ihrer Kindheit. Ein Humor, der darauf baue, dass es, wie sie findet, "ja oft zum Heulen ist, und damit nicht geheult wird, lachen sie sich alle tot, was anderes gibt's ja gar nicht." Aber es gibt für sie auch eine positive Kehrseite: "Ich habe so viel Liebe erfahren. Allein schon von den Nachbarn. Ich habe es ja miterlebt, wie jeder zwar seine eigene Wohnung hat, sie aber eigentlich miteinander leben", schildert Aldona Watolla. Als Zwölfjährige ist sie dann mit ihren Eltern nach Deutschland übergesiedelt.

"Damals ist fast eine Welt für mich zusammen gebrochen", erinnert sie sich, "weil ich dachte, ich kann keine Schauspielerin mehr werden." Aber die kindliche Sorge der leidenschaftlichen Schultheaterschauspielerin sollte sich als überflüssig entpuppen. Heute blickt die ausgebildete Sängerin und Schauspielerin auf reichhaltige Bühnenerfahrung in Gießen, Frankfurt und Köln zurück. Zu Hause ist die agile Person nur selten anzutreffen: Neben den Theaterrollen spricht sie Radiowerbung und jobbt unter anderem als Background-Sängerin.

Hinzu kommt das Soloprogramm, für das sie stets neue Auftrittsorte sucht, die ein Klavier bereitstellen können. Eigene Chansons sind bislang -  noch - wie sie betont,  Zukunftsmusik. Aber es gibt schon eine Idee:  Womöglich wird sie, mit Piotr Kêdzierski, Gedichte ihres Vaters, einem Hobby-Dichter, vertonen.

Im Raum Köln ist Aldona Watolla eine der Wenigen, die polnische Lieder und Literatur im Kleinkunstrahmen, jenseits der etablierten Theaterbühnen oder der subventionierten Austauschprogramme Deutsch-Polnischer Kulturvereine, vorstellt. Unter Vortragskünstlern mag das nichts Besonderes sein, wohl aber für das Kölner Nachtleben. "Über Italien und Frankreich wissen wir langsam bescheid", formuliert Natalie von Zadow, warum sie das osteuropäisch orientierte Projekt so schätzt. "Diese Chansons sind in Polen ja das, was für uns vielleicht Wolf Biermann ist, Politik und Poesie. Das ist doch toll, zu wissen, dass den Leute dort Tränen in die Augen schießen bei diesen Liedern", merkt sie an.

Ihrer Rolle als Wegbereiterin scheint sich die eher burschikose als divenhafte Sängerin aber gar nicht bewusst zu sein. Mit ehrlicher Begeisterung spricht sie über die geliebten Lieder. Dass Polen seit rund einem Jahr in der EU ist, davon profitiere sie. "Aber daran denke ich nicht, wenn ich mit meinem Programm auftrete", darauf besteht sie. Dabei ist die Kultur Polens im rheinischen Alltag noch wesentlich weniger präsent als in Berlin. Dort fand 2004 immerhin, anlässlich der Osterweiterung der EU, das pompöse Kultur-Festival "terra polska" statt.

An den Kölner Café-Tischen, von woher  überwiegend Deutsch, vereinzelt auch Polnisch ans Ohr dringt, herrscht Gedrängel um die letzten Plätze. Nach dem Programm bildet sich ein Kreis von Interessierten um die Sängerin, die Auskunft über diesen oder jenen Autor oder Chanson geben muss. "Das hat mich überwältigt", gesteht Aldona Watolla. Wahrscheinlich, weil genau das für sie dem Echo ihrer Botschaft gleichkommt: "Das Gefühl zu haben, dass so vieles gar nicht wichtig ist. Dass, wenn ich lache, jemand mit mir lachen kann. Und dass sich  jemand herzlich freuen kann für den anderen. Das alles kann ich in dieser Musik wiederfinden."

Aldona Watolla hat für Juni noch keine Termine, sucht aber ständig nach Auftrittsmöglichkeiten. Weitere Gelegenheiten, polnische Chansons zu hören, bietet das osteuropäische Kulturzentrum Igniz, wo jeden Freitag abend ein polnischer Abend stattfindet. Dort treten unter anderem die Sängerinnen Maria Wilczyjnska und Margaux mit Chansons auf. Letztere ist, mit ihrem Ensemble unter dem Namen Margaux und die Banditen bekannt, die renommierteste Künstlerin mit polnischen Chansons im Rheinland.