Nachruf auf Prof. Dr. sc. phil. Johannes Kalisch

Prof. Dr. phil. habil. Ralph Schattkowsky, Rostock/Thorn

 

Am 5. November 2002 ist Prof. Dr. sc. phil. Johannes Kalisch im Alter von 74 Jahren nach langer schwerer Krankheit verstorben. Johannes Kalisch hatte in der damaligen Sektion Geschichte der Universität Rostock die Professur für Geschichte der UdSSR und des sozialistischen Weltsystems inne und vertrat damit das Fach der Osteuropäischen Geschichte. Ab Mitte der 70er Jahre baute er die Forschungsgruppe Geschichte Polens und der deutsch-polnischen Beziehungen auf. Er gilt zu-recht als Nestor der Forschungen zu den deutsch-polnischen Beziehungen in der DDR und machte Rostock zu einem Zentrum beziehungsgeschichtlicher Studien, die sich sehr bald auf den gesamten ostmitteleuropäischen Raum erstreckten. Johannes Kalisch wurde in Oberschlesien geboren und hatte allein dadurch eine innige Beziehung zu unserem östlichen Nachbarn. Er gehörte zu jener Generation, die in ihrer Jugend durch das Erleben von Krieg und Zusammenbruch eine tiefe Prägung erfuhr.

 

Nach Neulehrertätigkeit und gediegener akademischer Ausbildung an der Universität Leipzig wandte er sich am dortigen Institut für Europäische Volksdemokratien der Erforschung polnischer Geschichte und deutsch-polnischer Wechselseitigkeit mit dem Anspruch zu, diese aus der ideologischen Verbrämung nationalistischer Darstellung herauszuholen und sie wissenschaftlicher Betrachtung zu unterziehen. Ein Vorhaben, das er nach seiner Berufung als ordentlicher Professor auch in Rostock etablierte.

Sein wissenschaftliches Werk zeichnet sich durch einen breiten Zugang zu den deutsch-polnischen Beziehungen aus. Am Anfang stand die Beschäftigung mit der polnischen Sachsenzeit. Später hat er sich verschiedenen Aspekten der Rolle Danzigs zugewandt und darüber auch habilitiert, um sich dann intensiv den Beziehungen in der Zwischenkriegszeit zuzuwenden. Er war sicher einer der ganz wenigen Historiker, die eine Gesamtsicht der deutsch-polnischen Beziehungen entwickeln konnten. Deshalb war er in beiden Ländern begehrter Gesprächspartner von Historikern unterschiedlicher Zeitepochen, was auch seine literaturkritische Arbeit belegt. Nicht weniger war er aber auch engagierter Beobachter aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen der Länder Osteuropas, insbesondere in unserem Nachbarland und hierzu auch in verschiedenen Ebenen meinungsbildend.

Im Vordergrund des Wirkens von Johannes Kalisch stand immer die lebendige Zusammenarbeit mit polnischen Kollegen. So baute er frühzeitig enge Kontakte zu einer ganzen Reihe von polnischen Universitäten und wissenschaftlichen Institutionen auf. Es gelang ihm wie kaum einem anderen, stabile Beziehungen zu den Universitäten in Warschau, Posen, Thorn, Breslau und Stettin aufzubauen und Kollegen aus ganz Polen zu den alle zwei Jahre stattfindenden Konferenzen zu verschiedenen Themenbereichen der deutsch-polnischen Beziehungen nach Rostock einzuladen. Ihre Ergebnisse wurden zumeist in den von ihm herausgegebenen „Studien zu den deutsch-polnischen Beziehungen“ (15 Hefte erschienen) veröffentlicht. Nicht weniger war Johannes Kalisch in diesem Sinne in bilateralen und internationalen Gremien tätig. So stellte er schon zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn in den 50er Jahren, als stabile Wissenschaftsbeziehungen zu Polen alles andere als selbstverständlich waren, den Kontakt mit Marian Malowist und seinen Schülern her, mit der wichtigen Konsequenz, dass die deutsch-deutschen Beziehungen im Bereich der hansischen Forschung von der ersten Arbeitstagung 1956 an zugleich eine internationale Dimension erhielten. Späterhin hat er als langjähriger Sekretär der Historikerkommission DDR-VRP das Profil ihrer Tätigkeit entscheidend mitbestimmt und wirkte nach der deutschen Vereinigung in der deutsch-polnischen Schulbuchkommission mit. Bei der Gestaltung der Zusammenarbeit hat es Johannes Kalisch immer gut verstanden, verschiedene Generationen von Wissenschaftlern miteinander in Kontakt zu bringen und seine Erfahrungen und direkten Beziehungen generativ weiterzugeben.

Seinen akademischen Schülern und Studenten vermochte er ein tiefes Verständnis für die Problemlagen der Beziehungen beider Staaten und Völker lebendig und fundiert zu vermitteln. Die Beliebtheit seiner Lehrveranstaltungen hatte sich über Generationen von Studenten nicht nur wegen seiner originellen und unkonventionellen Art, sondern auch deshalb erhalten, weil er ein politisch hoch aufgeladenes Fach relativ undoktrinär zu vertreten wusste und dabei immer bestrebt war, Verständnis für Besonderheiten und Schwierigkeiten osteuropäischer Entwicklung zu wecken.

Weit über Rostock hinaus stand er für die Schaffung eines neuen Verhältnisses zwischen Deutschen und Polen, wie ihm das Versöhnungswerk mit dem polnischen Volk Herzenssache war.

Johannes Kalisch ist bis heute in Polen hoch geachtet und vielfach geehrt. Wir werden sein Andenken stets in guter Erinnerung bewahren.

Einer seiner Schüler

 

Korrektur: In unserer letzten Ausgabe veröffentlichten wir einen Nachruf auf Dr. Diemute Lötzsch, die am 6. November 2002 verstarb. Irrtümlicherweise verzeichneten wir als Autoren dieses Nachrufs Dr. Gerd Kaiser und nicht die wirkliche Autorin Dr. Ines Mietkowski-Kaiser. Wir bitten diesen Irrtum zu entschuldigen.

 

Der Vorstand der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland trauert um das Beiratsmitglied Renate Riemeck.

Renate Riemeck war viele Jahre lang Mitglied des Beirates der Gesellschaft. Wie unsere Gesellschaft verstand auch sie sich immer als Teil der Friedensbewegung in Deutschland.

Wir werden ihrer immer  gedenken.