© Poland
Von Karl Forster
Es war doch anders als sonst. Gastland, das hieß, dass man in einer Halle eine Reihe von Lesungen vor kleinstem Publikum veranstaltete und außer einigen wenigen Spezialisten niemand sich dafür interessierte. Das war sicher in diesem Jahr anders. Polen war allgegenwärtig. Auch kleine und kleinste Verlage bemühten sich, in ihrem Angebot polnische Autoren oder Themen zu führen und die Halle 3, in der sich das Gastland präsentierte, war ständig gefüllt mit Lesenden, Diskutierenden und Zuhörenden. An mehreren Plätzen der Halle liefen gleichzeitig Lesungen und Diskussionsforen, und alle waren gut besucht. Und doch: dem einen oder anderen fiel auf, dass in dieser Halle sehr viel Polnisch gesprochen wurde. Viele der Besucher dieser Sonderschau waren Polen (viele Studenten), polnischer Abstammung oder sonst polnischsprachig. Zumindest aber in irgendeiner Weise schon stark an Land und Thema interessiert.
Das „Normalpublikum” tat sich sicher schwer, denn die Schablonen (siehe Kasten) funktionieren auch bei Bücherfreunden, wenngleich etwas geringer. Unstreitig aber die Resonanz der Medien. Deutsche, schweizer und österreichische Zeitungen und Zeitschriften ließen es sich nicht nehmen, Sonderbeilagen zu produzieren, mit denen sie die polnische Literatur würdigten. Die Schlagzeilen hießen dann z.B.: „Aus Polen. Nicht nur für Frankfurt.“ oder: „Auf der Suche nach der neuen polnischen Identität“, aber auch: „An der Geschichtsbiegung. Polen präsentiert seine Jungen – und vergisst die Alten nicht.“
Aber es gibt noch zwei weitere Punkte, an denen deutlich wurde, dass es kein „normales“ Gastland war, das sich da präsentierte. Noch nie waren so viele Autoren aus dem Land auf der Buchmesse um zu lesen, gesehen zu werden oder sich selbst zu informieren. Es waren so viele - allein 57 nahmen an Lesungen in der Gastland-Halle teil, dass ein Teilnehmer einer Diskussionsrunde provokativ vorschlug, man solle die Buchmesse für die Autoren sperren, denn es könne für sie nicht gut sein, diesen Kommerztrubel zu erleben und zugleich zu sehen, wie groß der Bücherberg eigentlich schon ist, für den sie noch produzieren wollen.
Und dann waren da die Veranstaltungen auf dem Messegelände und im gesamten Stadtgebiet. Ausstellungen und Lesungen, Präsentationen und Diskussionen. Allein 150 Seiten umfasste der Veranstaltungskatalog für das Gastland Polen.
Umstritten im Zusammenhang mit der Präsentation in Frankfurt war die Tatsache, dass Polen eigens eine Literaturförderungs-Stiftung ins Leben rief, aus der die Übersetzung und die Herausgabe von Büchern in Deutschland aus staatlichen polnischen Finanzmitteln gefördert wurde. Ein Vertreter des Kulturministeriums wies jedoch darauf hin, dass von den etwa 90 Titeln, die in den letzten eineinhalb Jahren Zuschüsse erhalten haben, nur 25 im deutschsprachigen Raum erschienen. Der überwiegende Teil betraf Titel, die in Drittländern, darunter vor allem auch Slowakei und Ungarn, auf den Markt kamen. Vor allem aber gebiete die Tatsache, dass Deutschland, Großbritannien und andere Länder ähnliche Förderstiftungen unterhalten, dass Polen zum Erhalt der Chancengleichheit auf dem Literaturmarkt damit gleichgezogen hat.
Bei der Eröffnung der Buchmesse erklärte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Roland Ulmer: „Bevor die Politiker kamen, waren die Bücher da. Nirgendwo sonst in der Welt sind so viele Texte polnischer Autoren übersetzt und veröffentlicht worden, wie im deutschsprachigen Raum. Über 100 Anthologien mit Prosa, Poesie, Satire und Essayistik liegen auf Deutsch vor.“
Aber er gab zu, dass polnische Autoren in Deutschland kaum zu Bestseller-Erfolgen wurden. Dennoch erreichte beispielsweise die „Polnische Bibliothek“ von Suhrkamp, die seinerzeit von Karl Dedecius erst nach großen Kämpfen beim Verlag errichtet wurde, insgesamt eine Auflage von über einer Million. Und Autorinnen und Autoren aus Polen, das mit Wisława Szymborska und Czesław Miłosz zwei Literatur-Nobelpreisträger stellt, erhielten gerade im deutschen Sprachraum auch zahlreiche Auszeichnungen. Janusz Korczak, Leszek Kołakowski und Władysław Bartoszewski sind wie der Übersetzer mit deutschem Pass, Karl Dedecius, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels.
Roland Ulmer, der zusammen mit Czesław Miłosz und Außenminister Władysław Bartoszewski die Buchmesse eröffnete, wies zum Schluss seiner Ansprache darauf hin, dass vor 500 Jahren die polnische Nationalliteratur mit dem Werk des Biernat aus Lublin und seinem in polnischer Sprache geschriebenen Werk „Das Paradies der Seelen“, was soviel bedeute wie „Das Paradies des Geistes“ begann. Er schloss mit einem Zitat aus diesem ersten Buch, das in polnischer Sprache veröffentlicht wurde:
„Wem Bücher die Zeit vertreiben,
wird nie ohne Freunde bleiben.
Doch wer in der Menge weidet,
das schlimmste Alleinsein leidet.“