Schloss im
Dornröschenschlaf
An der
deutsch-polnischen Grenze bei Forst befand
sich einst
eines der größten Landgüter der Lausitz
Von Monika Piotrowska
Wenn man von der A15 kurz vor der deutsch-polnischen Grenze nach Forst
abbiegt und den dortigen, kleinen Grenzübergang Forst/Zasieki
passiert, erreicht man die alte Straße von Dresden nach Warschau. Ein
Stück weiter landet man in Brody in einem der ältesten und
größten Landgüter der Niederlausitz. Seine Blütezeit
erlebte der Ort unter dem deutschen Namen Pförten
Mitte des 18. Jahrhunderts unter dem sächsischen Premierminister Heinrich
von Brühl (1700-1763), einer schillernden Figur, die durch die
Brühl’sche Terrasse in Dresden unsterblich wurde. Die Reste seines
Schlosses sind in der Wildnis versteckt.
Die Güter Heinrich von Brühls erstreckten sich über 60 Dörfer. Damals gab es zwei Herrensitze: in Forst und in Pförten. Heute kann die zehn Kilometer lange Strecke zwischen beiden Orten nicht nur mit dem Auto, sondern auch über einen neuen Radweg zurückgelegt werden. Bezaubernde Wälder sowie zahlreiche Tier-, Pflanzen- und Pilzarten prägen die Region, Bio-Bauernhöfe laden zum Urlauben ein. Gleich bei Zasieki auf der polnischen Seite der Neiße taucht der Reisende in eine atemberaubende Naturlandschaft ein, die sich 30 Kilometer weit bis zum romantischen Landschaftspark des Fürsten Pückler-Muskau in Bad Muskau erstreckt.
Das Dorf Zasieki gibt es erst seit 1945. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ließ man an dieser Stelle die Siedlung Berge als Neustadt von Forst errichten, die bald etwa 10.000 Einwohner zählte. „Stellen Sie sich das einmal vor“, sagt Zbigniew Wilkowiecki, der Gemeindevorsteher von Brody, und breitet die Arme aus. „Überall hier lebten Menschen, standen Häuser, Läden, Apotheken - alles!“ Mit Forst war die Siedlung über zwei Neiße-Brücken verbunden. Aufgrund einer Idee Stalins, eine Leerzone an der deutsch-polnischen Grenze zu errichten, wurde die Siedlung Berge bis auf den letzten Ziegelstein abgetragen. Die Ziegel transportierte man nach Warschau und nutzte sie zum Wiederaufbau der durch die Deutschen völlig zerstörten Stadt. „Endlich, 17 Jahren nach der Wende, liegt die Zustimmung von Forster Seite zum Wiederaufbau der beiden Brücken über die Neiße vor“, sieht Wilkowiecki ein neues Zeitalter für seine Gemeinde anbrechen.
In Brody erobert seit Jahrzehnten die Wildnis die Schloss- und Parkanlage von Graf Heinrich von Brühl. Benedykt Szafrański, ein leidenschaftlicher polnischer Historiker, hat die Geschichte der Region erforscht. An diesem Morgen steht er traurig vor der Schlossruine. „Die Ruine ist so riesig, dass die Erben Brühls kein Interesse hatten, sich um das Gut zu bewerben“, erzählt Szafrański. Auch der Gemeinde Brody hätte das Geld für Erhalt und Wiederaufbau gefehlt. Doch der Kontrast zwischen der verschollenen Pracht und dem jetzigen Dasein des Ortes entfaltet seinen ganz besonderen Reiz.
Bereits im Jahre 1454 wird das Städtchen Pförten erstmals urkundlich erwähnt. Heute gilt Brody mit seinen knapp 1000 Einwohnern rechtlich nur als Dorf. Ein Herrensitz wurde hier erstmals 1670 errichtet, nach der Teilung der Herrschaft Forst-Pförten. Es entstand eine aufwendige, frühbarocke, dreigeschossige Anlage mit Seitenflügeln, die Heinrich von Brühl später noch um aufwendige architektonische Stilelemente erweitern ließ. Er kaufte Pförten 1740 und ließ das Schloss und den Garten zwischen 1741 und 1748 durch den führenden Dresdner Hofarchitekten Johann Christoph Knöffel im Stile des sächsischen Rokoko umgestalten.
Brühl war eine brillante und gleichsam tragische Figur der sächsischen Geschichte. Als erfolgreicher Diplomat verhalf er dem Sohn Augusts des Starken, dem sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. maßgeblich als August III., den polnischen Thron zu besteigen. Andererseits führte Brühl durch Korruption und Fehlentscheidungen Sachsen in den Bankrott. Brühl war bekannt für seinen verschwenderischen und prunkvollen Lebensstil. Pförten wollte er zu einer florierenden Residenzstadt aufbauen und veranlasste die Ansiedlung von Handwerkern und die Gründung von Manufakturen.
„Pförten sollte die Gäste entzücken“, schildert Szafrański die Pläne Brühls. Auch heute betritt man das alte Städtchen durch ein frisch renoviertes Stadttor. Gleich hinter dem Tor befindet man sich mitten in der „Stadt“, die nur noch aus zwei sich kreuzenden Straßen besteht. Die Querachse führt direkt auf das Schloss zu. Auf dem gegenüber liegenden Ende erblickt man ein Feld, das von einem typisch polnischen Wegkreuz und einem vergessenen deutschen Kriegerdenkmal für die Gefallenen des 1. Weltkriegs gesäumt wird. Die Perspektive auf das Schloss eröffnet sich unerwartet. Die Mauerpfeiler sind frisch renoviert. Doch statt schmiedeeiserner Gitter umgeben hölzerne Zaunlatten in Übergröße das Schloss - eine surrealistische Ansicht, die für Szafrański nur ein weiteres Anzeichen für dringend nötige Restaurierung ist.
Zwischen Zaun und Schloss ließ Brühl einen riesigen Platz anlegen, heute eine wilde Grünfläche. An den Seiten entstanden zwei Kavalierhäuser mit rückwärtigen Wirtschaftsgebäuden, die für die zahlreichen Gäste Brühls genutzt wurden. Diese empfing er lieber in Pförten als in der Residenzstadt Dresden, obwohl er dort über ein großartiges Palais samt Lustgarten - an der heute berühmten Brühl’schen Terrasse - verfügte. Das Geheimnis seiner Liebe zu Pförten liegt in der gesellschaftlichen Stellung, die Brühl mit dem Erwerb der Niederlausitzer Standesherrschaft erlangte. Obwohl er nach Friedrich August II. die mächtigste Figur seiner Zeit in Sachsen und gleichzeitig graue Eminenz von Polen war, blieb Brühl formal ein Rittergutsbesitzer. Der Besitz Pförtens erhob ihn zum landsässigen Adligen. Als er 1746 den noch fehlenden Teil Forst erwarb, empfing er dafür Huldigungen seiner Untertanen.
Die drei Schlösser in Forst hat Brühl nie als Wohnsitz betrachtet, sondern nur für La-ger-, Produktions- und Verwaltungszwecke genutzt. Teilweise sind die Gebäude noch erhalten. Eines dient heute als Wohnheim für geistig behinderte Kinder, wird aber im Volksmund immer noch „Altes Amt“ genannt.
Um die Schlossanlage in Brody zu besichtigen, sollte man einen ganzen Tag einplanen. Allein die Rasenfläche der ehemaligen Parkanlage ist so groß wie zwei Fußballplätze. Tatsächlich jagen hier die Dorfjungs täglich dem Ball hinterher. Hinter dem Schloss liegt eine weitere große Rasenfläche, an deren Ende sich ein See befindet. Hier war einst der Brühl’sche Lustgarten - der schönste Rokokogarten der Niederlausitz. Von den Bosketten, Parterres, Irrgärten, der Orangerie und den Wasserflächen findet sich keine Spur mehr. Dagegen wirkt der auf der Nordseite angelegte Pförtner Park, der 1807 landschaftlich umgestaltet wurde, trotz oder vielmehr dank mangelnder Pflege wie ein echter Zaubergarten. Baumarten aus aller Welt durchmischen die landestypische Vegetation. Gleich neben dem Schloss, wo sich ein kleiner Pfad zur Kirche schlängelt, blühen im Frühling wunderschöne amerikanische Tulpenbäume.
Nach einem längeren Spaziergang durch den drei Kilometer langen Park erreicht man am anderen Ende von Brody eine Siedlung. Hier ließ Brühl Manufakturen bauen, in denen Tapeten, Türschlösser, Hammer, Ziegel, Parkettfußböden und Tücher für seine Besitztümer produziert wurden. Heute sind wenige dieser Gebäude erhalten. Die prosperierende Zeit Pförtens währte nur kurz. Nicht ohne Brühls Beteiligung kam der Siebenjährige Krieg nach Pförten und der Premierminister, der zu Beginn seiner Karriere den preußischen Kurfürsten schrecklich beleidigt hatte, musste nun die Rache dessen Sohnes hinnehmen: Friedrich II. ließ das Schloss in Pförten 1758 von 200 Husaren niederbrennen. Kurz nach dem Kriegsende 1763 verstarb Heinrich von Brühl und wurde in der Stadtkirche von Forst beigesetzt.
„Nicht nur Sachsen führte Brühl in den Bankrott, sondern auch Pförten.“, zieht Szafrański ein spöttisches Resümee. Denn die Residenzstadtidee konnte nach Brühl nie weiter entwickelt werden und auch das Schloss baute man erst in späterer Zeit wieder auf. Die Erben Brühls lebten in den vom Brand verschonten Kavalierhäusern. Das Schloss wurde um 1858 teilweise renoviert. Pförten wurde schließlich 1945 von russischen Soldaten geplündert und angezündet. Einzig die Kavalierhäuser renovierte der jetzige polnische Besitzer in den 90er Jahren. Heute befindet sich in ihnen ein Hotel mit Restaurant. Von der Innenausstattung der Brühl’schen Zeit sind noch die Holzträger übrig geblieben. Wenngleich das Schloss der Wildnis überlassen blieb, lässt sich noch immer die einst grandiose Geschichte des Ortes erahnen.
Infoteil/Tipps:
Gemeinde Brody ist zu 70 Prozent
mit Wäldern bedeckt und sehr dünn besiedelt. Die Wälder sind
reich an Pflanzen- und Tierarten, sowie Pilzen. Auf einem Hügel, der vom
Schloss aus über einen Pfad erreichbar ist, befindet sich ein Turm mit
Aussicht in die Umgebung.
Im Nachbardorf Biecz/Beitsch empfiehlt sich der
Besuch der dortigen Kirche, einem Werk von Georg Bähr,
der auch die Frauenkirche in Dresden gestaltete. Zu finden ist außerdem
die Ruine eines kleinen Schlosses der Familie Wiedebach.
Im Dorf Zasieki,
ehem. Forst-Berge, kann man markante Bunker der Deutschen Sprengchemie GmbH
entdecken, die in den 1930er Jahren gebaut wurden.
Weitere Informationen:
www.brody.pl (nur auf Polnisch)
Übernachtungen in Brody:
„Schloß
Brühl“ - Hotel in den Kavalierhäuser (mittlere Klasse) mit
Restaurant
Übernachtung mit Frühstück
für 80 Złoty (20 Euro) pro Person, Tel. 0048-68-371 39 09. Der
Besitzer spricht deutsch: www.brody.pl/brody/agro/palac.html
AGROTOURISTIK -
Übernachtung in Bauernhöfen ab 20 Złoty (5 Euro), Vollpension
zusätzlich ab 25 Złoty (6,50 Euro)
Bauernhof „WICHROWE
POLE“, Jadwiga Cierlukiewicz, ulica Polna 11, Tel. 0048
68-3718158, mobil: 0048-604 601729, www.brody.pl/brody/agro/ j.cierulkiewicz. html
Bauernhof
„NA WZGÓRZU“, Anna Bronisław Kotwiccy, ulica
Górna 15, Tel. 0048-68-371 39 76, www.brody.pl/brody/agro/kotwicka.html
Bauernhof
„BOROWIKOWA KNIEJA“, Ryszard Elżbieta Miœkiw, ulica
Kiliñskiego 15, Tel. 0048-68-371 39 67, www.brody.pl/brody/agro/ela.html
Bauernhof Jolanta Waldemar Filipowicz, Tel. 0048-68-371 20 43, www.suchodol. agrowakacje.pl - Seite auf Deutsch.